Was heißt Programmautomatik?

Auszug aus "Günter Richter CANON T70 "
erschienen bei Verlag Laterna magica 1988.

Wenn Sie eine gebrauchte T70 kaufen ist dieses Buch
die beste deutsche Bedienungsanleitungdie man sich denken kann!

>> Die Programmautomatik ist die letzte Stufe der automatischen Belichtungseinstellung in einer Kamera, bei der dem Benutzer schlicht gar nichts mehr zu tun übrig bleibt. Natürlich müssen Sie nach wie vor Scharfstellen, doch ansonsten tut die Kamera ihre Arbeit ohne Ihr weiteres Zutun.
Sinnvoll ergänzt wird dies in derT70 durch den automatischen Filmtransport nach jeder Aufnahme, so dass wir heute wirklich von optimalem Bedienungskomfort sprechen können.

Um dieses kleine Wunder zu vollbringen, muss die Kamera zunächst die Motivhelligkeit ermitteln. Dann stellt sie Blende und Verschlusszeit nach einem feststehenden Schema stufenlos ein. Bei sehr großer Helligkeit geht sie von einer sehr kleinen Blende und kürzester Verschlusszeit 1 /1000 s aus. Mit abnehmender Helligkeit öffnet sie allmählich die Blende und stellt eine immer längere Zeit ein. Natürlich ist es Unsinn, in diesem Zusammenhang von einer «optimalen Kombination» von Blende und Verschlusszeit zu sprechen, wie es in der Werbung leider immer wieder getan wird. Die Mischung beider Komponenten soll lediglich eine einwandfreie Belichtung ergeben. Für Ihre Bildabsicht kann sie alles andere als «optimal» sein. Denn wenn Sie der Kamera die gesamte Arbeit überlassen, verzichten Sie naturgemäß auf jede Einflussnahme. Diese jedoch macht gerade den wirklichen Spaß an der Fotografie aus.

Und damit hätten wir die Vor- und Nachteile der Programmautomatik auch schon herausgearbeitet. In ihrer klassischen Form wendet sie sich fast ausschließlich an jene Hobbyfotografen, die sich von den wenigen technischen Überlegungen, die uns die moderne Fotografie noch lässt, überfordert fühlen und Hilfe suchen bei einer Vollautomatik. Es wäre jedoch falsch, die Programmautomatik als neuestes Nonplusultra der Technik zu sehen, wie es leider durch die gezielte Werbung der Industrie teilweise bereits der Fall ist. Sobald Sie «ausgelernt» haben, werden Sie die Belichtungsdaten manipulieren wollen, ohne dass Sie hierfür die Annehmlichkeiten der Automatik aufgeben müssten. Und dann werden Sie zur Blendenautomatik greifen.

Mit der Canon T70 hat die Geschichte jedoch eine Fortsetzung, denn zum ersten Mal bringt diese Kamera Variationen zum Thema Programmautomatik. Sie bestätigt damit, wie wenig «optimal» die im Programm festgelegte Mischung von Blenden und Verschlusszeiten in dieser allgemeinen Aussage sein kann. <<

Heutige Spiegelreflexkameras (EOS) haben dieses Prinzip durch die Datenübertragung Kamera und Objektiv noch weiter verfeinert,

die Programautomatik ist informiert welche Brennweite ansteht,
meist sind die Programme zudem noch übersteuerbar (shift).

Heute heißen die Programme auch etwas anders - es sind Motivprogramme

bei der T 70
Motivprogam
WIDE Landschaft = große Tiefenschärfe
TELE Sport = kurze Belichtungszeit
Porait = offene Blende um den Hintergund unscharf zu halten
zn viele andere mehr

An den grundsätzlichen Überlegungen ändert das aber nichts.

.... weiter im Text:

>> Denn stets stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis diese Mischung erfolgen soll. Soll man ganz gleichmäßig die Blende aufmachen und die Zeit verlängern oder vielleicht einen steileren Verlauf wählen, die Zeit nur zögernd verlängern, dafür jedoch die Blende in stärkerem Maße öffnen?

Jeder Programmverlauf schließt andere Kompromisse und eignet sich deshalb für unterschiedliche Anwendungen. In dem Bestreben, dem Hauptargument gegen die Programmautomatik die Spitze zu brechen, hat Canon der T70 drei Programme mitgegeben und damit gewissermaßen eine Feinabstimmung der Programmautomatik eingeführt. Moderne Elektronik macht's möglich, und es scheint, als wäre damit die Zukunft der Programmautomatik vorgezeichnet. <<

Nach diesen Schemen werden Verschlusszeiten und Blenden
in Abhängigkeit von der Motivhelligkeit eingestellt.

Bei anderen Canon Kameras ( AE1 Programm / A1 /T50 )
und für viele "billige" Kameras - auch Digitale - gilt nur die rote Linie.

Zur Verdeutlichung :

  • gemessen EV 12 führt zu folgenden Einstellungen
  • im Programm WIDE zu Blende 8 bei 1/60 (rot)
  • im Programm TELE zu Blende 3,5 bei 1/500 (grün)
  • im Programm Normal zu Blede 6,7 bei 1/125 (blau)

Das Normalprogramm

«Normal» ist bei der T70 in der Programmautomatik ein Verlauf, den wir uns anhand des Diagramms näher anschauen wollen. Bei größter Helligkeit beginnt dieses Programm bei Blende 22. Nimmt die Helligkeit ab, so öffnet die Kamera zunächst die Blende. Erst bei Blende 16 setzt das Zusammenwirken von Zeit und Blende ein. Ab hier nämlich macht die Kamera die Blende in genau dem gleichen Maße auf, in dem sie die Verschlusszeit verlängert. Und so ergeben sich Kombinationen wie Blende 11 und 1/500 s oder Blende 5,6 und 1/125 s. Bei Blende 4 erreicht das Programm die für das Normalobjektiv gültige «Verwacklungsgrenze» der 1/60 s. Bei der größten Blende des gängigsten Normalobjektivs, des FD 1:1,4/50 mm, ergibt sich bereits 1 /8 s. Dann ist (mit diesem Objektiv) natürlich Schluss, und die Kamera kann nur noch die Zeit stufenlos verlängern, bis sie am Ende des Arbeitsbereichs anlangt.

Wenn Sie sich diesen Verlauf anschauen, dann werden Sie sich fragen, wozu Sie sich wohl ein Objektiv mit Lichtstärke 1:1,4 oder 1:1,8 gekauft haben, wenn Sie 2,5 bis 3 Blendenstufen glatt verschenken müssen, wollen Sie nicht in völlig «unhaltbare» Verschlusszeiten geraten. Denn die Verwacklungsgrenze 1/60 s erreicht das Programm ja, wie wir gesehen haben, bereits bei Blende 4. Alles, was danach noch kommt, können Sie nicht nutzen, weil Sie die Kamera verreißen würden. Und damit haben Sie bereits die Antwort: Das Normalprogramm ist für ein normales Normalobjektiv absolut unnormal. Sie können es vergessen bzw. müssen entsprechende Abstriche hinnehmen. Berechtigung erlangt es erst mit den immer populärer werdenden «Normal-Zooms», zum Beispiel einem FD 1:3,5-4,5/28-55 mm oder FD 1:3,5-4,5/35-70 mm. Hier gibt es keine Lichtstärke zu verschenken, und die Werte sind einigermaßen realistisch.

Die Einstellung auf Programmautomatik ist bei der T 70 denkbar einfach:

Schieben Sie den Hauptschalter auf AVERAGE. Sollte die LCD noch nicht PROGRAM anzeigen, so drücken Sie den Betriebsartenwähler (MODE) neben dem Hauptschalter sowie eine der Schalttasten DOWN oder UP, bis das Wort PROGRAM ohne Zusatz in der LCD erscheint. Den Blendenring des Objektivs stellen Sie unter Druck auf den kleinen Sperrknopf neben «A» auf diese Automatik-Marke. Und dann können Sie loslegen.
Beim Antippen des Auslösers oder der Belichtungsprüftaste sehen Sie im Sucher ein grünes «P» zur Kennzeichnung der Programmautomatik sowie die zur Anwendung kommende Arbeitsblende. Und Sie wissen, dass der für Sie mit einem Normalobjektiv nutzbare Bereich bei Blende 4 endet. Sobald die 1/60 s nicht mehr ausreicht, beginnt das «P» zu blinken, um Sie vor Verwacklungsunschärfe zu warnen.
In der Flüssigkristallanzeige erscheint bei eingeschaltetem Meßsystem die von der Kamera «beigemischte» Verschlusszeit, deren genaue Kontrolle bei Programmautomatik nicht weiter wichtig ist. Sollte die T70 nicht in der Lage sein, die Lichtfülle selbst mit kleinster Blende und 1/1000 s zu bändigen, so blinkt die «1 OOO» in der LCD. In diesem Fall bliebe Ihnen nur das Vorsetzen eines Neutral-Graufilters (ND) zur Drosselung der Lichtfülle - und die Lehre, dass es sich nicht lohnt, zu hochempfindliches Material bei sehr gutem Licht einzusetzen.
Umgekehrt blinkt in der LCD die längste verfügbare Verschlusszeit, im Sucher die größte Blende des eingesetzten Objektivs, wenn beim besten Willen nichts mehr geht, weil das Licht nicht ausreicht.

Das «Weitwinkelprogramm»

In der zweiten Variante der Programmautomatik folgt die Kamera einem deutlich «langsameren» Schema für die Mischung von Blenden und Zeiten. Hier ist der Ablauf gegenüber dem Normalprogramm um genau zwei Stufen in Richtung längerer Zeiten verschoben. Das Resultat ist natürlich eine entsprechend kleinere Blende bei gleicher Helligkeit. Und nachdem kleinere Blenden zu größerer Schärfentiefe führen, haben wir es hier mit einem Programm zu tun, das in großen Zügen das nachzuvollziehen versucht, was man sonst mit Zeitautomatik macht bzw. was man dieser gewöhnlich zuschreibt. Natürlich stoßen Sie mit diesem Programm wesentlich schneller an die Verwacklungsgrenze:
Schon bei Blende 8 ergibt sich 1/60 s! Deshalb Ist dieses Programm völlig ungeeignet für längere Brennweiten. Man wird es vorwiegend mit Weitwinkelobjektiven verwenden, bei denen der Einsatz großer Schärfentiefe relativ häufig gefragt ist. So Ist das Programm mit WIDE recht treffend gekennzeichnet.
Von der Überlegung ausgehend, dass man mit Weitwinkelobjektiven nach der Verschlusszeitenregel auch etwas längere Zeiten noch unverwackelt aus der Hand halten kann, hat Canon die Warnung vor Verwacklungsunschärfe bei diesem Programm auf 1/30 s gelegt. Mit anderen Worten, sobald eine längere Zelt eingesteuert wird, beginnt das «P» im Sucher wieder zur Warnung zu blinken. Und dies ist bereits bei Blende 5,6 der Fall. Alle anderen Fehlbelichtungswarnungen sind mit jenen im Normalprogramm identisch.
Und was tut ein Fotograf, der nicht auf die Krücken der Programmautomatik angewiesen ist, wenn es ihm auf größtmögliche Schärfentiefe ankommt?
Ganz einfach: Er stellt die aus der Hand haltbare, längstmögliche Verschlusszeit ein und lässt die Kamera mit Blendenautomatik walten. Sie wird ihm ganz selbstverständlich die kleinstmögliche Blende für die vorhandene Helligkeit einsteuern. Mehr Schärfentiefe ist unter den gegebenen Umständen nicht drin - auch nicht mit schärfentiefenbetonter Programmautomatik.
Zur Einschaltung des Weitwinkelprogramms verfahren Sie wie üblich: Kamera einschalten, MODE-Taste und eine der Schalttasten UP oder DOWN drücken, bis in der LCD die Anzeige PROGRAM mit dem Zusatz WIDE erscheint.
Das Objektiv steht wie immer auf «A».

Das «Teleprogramm »

Schalten Sie in genau gleicher Weise etwas weiter, so tritt ein TELE - wenn auch nicht ganz wörtlich - an die Stelle des WIDE. Und jetzt zeigt der Programmverlauf einen sehr steilen Abfall der Kurve hinunter zur größten Objektivöffnung. Die T70 holt sich das erforderliche Licht primär durch Aufblenden des Objektivs und erreicht bereits bei einer Verschlusszeit zwischen 1/125 s und 1 /250 s die volle Öffnung des FD 1:1,4/50 mm. Dann steigert sie stufenlos die Zeit bis zum Ende des Arbeitsbereichs.
Dieses Programm ist rein kurzzeitbetont und natürlich das einzig Wahre für Teleobjektive. Denn bei Blende 2,8 ergibt sich noch immer eine etwas kürzere Zeit als 1/250 s -gerade richtig für ein FD 1:2,8/200 mm, zum Beispiel. Fotografieren Sie hingegen mit einem FD 1:4/300 mm, erhalten Sie bei voller Öffnung etwa 1/400 s, mit einem RF 1:8/500 mm ca. 1/600 s. Allerdings ist auf die Warnung vor Verwacklungsunschärfe in diesem Fall kein Verlass mehr, denn das «P» im Sucher beginnt erst zu blinken, wenn 1 /125 s erreicht ist. Für längere Brennweiten als 135 mm ist dies jedoch bereits zu lang - Verwacklungsunschärfe wäre Ihnen sicher.

Doch die Bezeichnung «Teleprogramm» sollte uns nicht irreführen.
Im Prinzip ist dieses Programm nämlich für jede Brennweite geeignet, also ebenso für das Normalobjektiv wie für Weltwinkelobjektive. Einsetzen sollten Sie es stets dann, wenn Sie Action fotografieren. Die extreme Betonung der kurzen Zeiten sichert Ihnen scharfe Konturen auf dem Hauptobjekt, womit Sie sich dem Arbeitsprinzip der Blendenautomatik nähern, ohne jedoch irgendeine Einstellung beizusteuern. Ich würde das Teleprogramm sogar dem Fotoneuling empfehlen, der nur mit dem Normalobjektiv fotografiert. Er ist mit diesem Programm wesentlich besser bedient als mit dem so genannten Normalprogramm, denn er kann die Lichtstärke seines Objektivs voll ausnutzen, ohne je aus dem Verschlusszeitenbereich zu geraten, der ihm mit hoher Sicherheit gute Schärfe garantiert. Gerade am Anfang ist die Gefahr des Verreißens der Kamera bekanntlich besonders groß.
Aus dieser Sicht ist das Teleprogramm eigentlich das praxisgerechteste für das, was die Werbung immer wieder mit Programmautomätik zu identifizieren versucht: für die spontane, aktive Fotografie.
Hatten wir festgestellt, dass die Warnung vor Verwacklungsunschärfe bei längeren Brennweiten als 135 mm zu spät kommt, so habe ich Ihnen auch hier wieder eine Alternative zu bieten, die letztlich den Sinn der Programmautomatik in Frage stellt: Schalten Sie auf Blendenautomatik und geben Sie die für Verwacklungsunschärfe bei der jeweiligen Brennweite gültige Grenzzeit vor, sagen wir 1/250 s. In diesem Fall haben Sie nämlich die Garantie, dass diese Zeit nicht ohne eindeutige Warnung im Sucher unterschritten wird. Reicht die 1 /250 s nicht mehr aus, so verlängert die T70 bei Blendenautomatik zwar entgegenkommenderweise die Zeit, damit die Belichtung trotzdem stimmt, sie warnt jedoch durch Blinken der größten Blende des Objektivs.
Mit anderen Worten, die Warnung erfolgt korrekt dann, wenn unter den Verhältnissen Schluss ist.

In der Praxis wird die Programmautomatik selbst in der neuen Dreierform, wie sie Canon mit der T70 einführt, vermutlich nur dazu dienen, uns auch das letzte bisschen Denken noch abzugewöhnen. Womit der Zug der Zeit sehr gefühlvoll erfasst wäre. <<

Das Buch erschien 1988 und die letzte Aussage gilt heute immer noch!

im Zeitalter der Digitalen "Schnapschusskamera" mehr denn je !!